Robert Augustin an der Seitenlinie

SGS-Teamchef Robert Augustin: „Unser Spiel soll dem Publikum Spaß machen“

Neuer Chef, neues Selbstverständnis: Nach dem Abschied des langjährigen Cheftrainers Markus Högner geht Robert Augustin mit viel Tatendrang in seine erste Saison als Teamchef der SGS Essen. Im Interview erzählt der 33-Jährige von seinem Weg vom F-Jugendtraining im Berliner Umland an die Seitenlinie der Frauen-Bundesliga. Er verrät, welches Image seiner Mannschaft er unbedingt loswerden wollte und mit welchen großen Zielen er in die neue Spielzeit startet.

Herr Augustin, wir sprechen gut eine Woche vor dem Ligastart Ihrer Mannschaft gegen Eintracht Frankfurt miteinander. Das wird Ihr erstes Bundesligaspiel als Teamchef der SGS Essen sein. Was glauben Sie: Mit welchem Gefühl werden Sie kurz vor dem Anpfiff an der Seitenlinie stehen?

Mit sehr viel Vorfreude und mit der Erwartung, dass wir gegen einen sehr guten Gegner ein richtig gutes Spiel abliefern.

Lassen Sie uns darüber reden, wie Sie an diese Seitenlinie gelangt sind. Wie und wo hat Ihre Trainerkarriere begonnen?

Die hat bei meinem Heimatverein SV Falkensee-Finkenkrug begonnen. Damals habe ich die F-Jugend trainiert, in der mein sechs Jahre jüngerer Bruder spielte. Ich habe dann ein Studium in Sportwissenschaften an der Fachhochschule Potsdam begonnen und im Rahmen dieses Studiums einen Kooperationsverein gesucht. Das war der SC Münster 08. Der Klub hat mir in der Geschäftsstelle viele Einblicke ins Fußball-Universum und das Vereinswesen ermöglicht. Gleichzeitig war ich dort immer Trainer von zwei Mannschaften in unterschiedlichen Altersklassen. Ich konnte mich also komplett ausprobieren und nach vier Jahren bin ich dann zum MSV Duisburg gewechselt. Sieben Jahre später kam ich schließlich als Co-Trainer zur SGS Essen.

Haben Sie damals in Münster schon mit Mädchen oder Frauen gearbeitet?

Nein, das waren Jungsmannschaften. Der Einstieg in den Mädchenbereich hat sich daraus ergeben, dass ich zwei Spielerinnen in der D-Jugend hatte, die inzwischen beide im Profifußball angekommen sind: Noreen Günnewig spielt aktuell beim BVB und Charlotte Blümel beim VfB Stuttgart. Die beiden sind irgendwann zum FSV Gütersloh gewechselt. Dadurch kam ich auch mit dem Verein und dem dortigen Trainer Christian Franz-Pohlmann in Kontakt. Als der im Sommer 2017 Cheftrainer beim Frauen-Bundesligateam des MSV Duisburg wurde, hat er mich als Co-Trainer dazu geholt.

War der Schritt nach Duisburg damals eine bewusste Entscheidung für den Frauenfußball?

Es war eine bewusste Entscheidung für den Profifußball. Ich hatte auch ein oder zwei andere Möglichkeiten, aber als sich die Chance in Duisburg ergeben hat, war für mich klar, dass ich den Schritt machen möchte. Christian hatte schon einige Erfahrung im Frauenfußball gesammelt, so dass mir der Einstieg auch dank ihm leicht fiel. Ich habe aber auch nie in Männer- und Frauenfußball unterschieden. Für mich ist das ein Sport – Fußball eben.

Von Duisburg ging es für Sie nach Essen, wo Sie zwei Jahre lang Co-Trainer unter Markus Högner waren. Als Sie erfahren haben, dass Högner zum BVB wechselt, war es für Sie da gedanklich sofort eine Option, die Hauptverantwortung in Essen zu übernehmen?

Ich wusste sofort, dass ich mich dafür bereit fühle. Es gab vorher in Duisburg auch schon mal eine Situation, in der ich interimsmäßig als Trainer an der Seitenlinie stand. Damals war ich bereit für dieses kurze Intermezzo. Und so war es jetzt auch in Essen. Markus hat mich in viele Bereiche reingeholt, hat mich arbeiten lassen und hat mir sehr geholfen, im Verein schnell Fuß zu fassen. Deshalb gab es da bei mir gar kein Zögern. Es ist eine super Möglichkeit und ich habe mich über das Vertrauen sehr gefreut.

Die Saisonvorbereitung lief ja sehr gut, wenn man auf die Ergebnisse der Testspiele schaut. Acht Spiele, acht Siege, 29 Tore geschossen, nur vier kassiert. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Den Schluss, dass die Mannschaft gelernt hat, wieder als Offensiv-Team zu denken. Dass wir Selbstbewusstsein haben in unseren Aktionen nach vorne und im Spiel mit dem Ball. Es war uns ganz wichtig, dass wir das Image ablegen, eine Mannschaft zu sein, die nur hinten verteidigt, die Bälle dann schnell nach vorne spielt und dort meistens nicht vollendet. Dieses Image aus der letzten Saison sind wir in der Vorbereitung losgeworden, ohne den Kader groß zu verändern. Wir haben stattdessen das Mindset der Spielerinnen verändert und die Trainingsmethodik ein bisschen angepasst und das klappt sehr gut. Gleichzeitig haben wir den Fokus auf die Defensive nicht verloren. Wir wissen, dass das Spiel mit dem Ball genauso wichtig ist wie das Spiel gegen den Ball und das wollen wir jetzt auch in die Liga übertragen.

Welche Rolle spielen die Neuzugänge für dieses Offensivdenken?

Gar keine so große. Klar, Shari van Belle ist ein Neuzugang, der eher offensiv denkt. Aber ansonsten sind unsere Offensivspielerinnen die gleichen wie in der letzten Saison. Nur mit dem Unterschied, dass wir die Angriffe besser vorbereiten. Dadurch fällt es unseren Stürmerinnen leichter, Tore zu machen. Wir haben in den Testspielen auch noch viele Chancen liegen lassen. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Der Einfluss unserer Neuzugänge Jana Feldkamp und Shari van Belle liegt eher darin, dass wir im zentralen Mittelfeld gefestigter stehen, wenn wir im Ballbesitz sind, dass wir dort eine gute Ballverteilung haben und gerade auch sehr, sehr gute letzte Pässe spielen.

Ramona Maier, Natasha Kowalski, Shari van Belle und Leonie Köpp von der SGS Essen freuen sich über ein Tor gegen den VfL Bochum.
SGS-Neuzugang Shari van Belle freut sich mit Natasha Kowalski (Nr.10) über ein Tor gegen Bochum. Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Das bedeutet aber auch eine neue Positionierung Ihrer Nummer 10, Natasha Kowalski, die jetzt weiter vorne spielt.

Ja genau. Tashi ist eine Spielerin, die viele Facetten einer Mittelfeldspielerin abdeckt und wir wollen, dass sie so oft wie möglich am Ball ist. Das kann bedeuten, dass sie sich Bälle hinten abholt. Wenn das aber andere Spielerinnen für sie erledigen, kann sie ihre Qualitäten offensiver einsetzen. Das führt dazu, dass sie jetzt häufiger vorne zu finden ist.

Mittelstürmerin Ramona Maier ist dafür zuletzt oft auf den Flügel gerückt. 

Ja, aber auch da bleiben wir flexibel. Weder Ramona noch unsere anderen Offensiv-Spielerinnen sind auf eine Position festgenagelt. Man kann aber sagen, dass wir mit Ramona Maier über außen viele Momente kreieren, die wir vorher so nicht hatten. Das ist eine neue Stärke, die sie sich erarbeitet hat.

Jetzt gab es in der Vorbereitung aber nicht nur gute, sondern auch schlechte Nachrichten. Eine davon war der Kreuzbandriss von Lilli Purtscheller Anfang Juli. Purtscheller verkörpert aus meiner Sicht genau das, was Sie sich von Ihrem Team wünschen: offensives Denken, hohe Intensität beim Spiel mit und gegen den Ball. Ist sie in Ihrem Kader zu ersetzen?

Lillis Verletzung war ein ganz herber Schlag. Es ist natürlich immer schlimm, verletzt raus zu sein und bei Lilli kommt dazu, dass es einfach wirklich gut lief. Aber sie hat viel Energie und arbeitet hart daran zurückzukommen. Wenn sie wieder da ist, wird sie eine absolute Bereicherung für unser Spiel und für unsere Mannschaft sein. Darauf freuen wir uns und darauf freut sich Lilli.

Eine Spielerin, die Ihrem Team dauerhaft fehlen wird, ist Annalena Rieke, die mitten in der Vorbereitung überraschend zur AS Rom gewechselt ist. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, die zweitbeste Essener Scorerin der vergangenen Saison ziehen zu lassen?

Das ist mir und uns als Verein aus zwei Gründen schwer gefallen. Zum einen war Annalena eine sehr wichtige Spielerin, die letzte Saison fast alle Spiele gemacht hat und die einen ganz großen Anteil daran hatte, dass wir in den letzten beiden Spielzeiten so erfolgreich waren. Der zweite Grund ist ihre Persönlichkeit. Annalena war mit Zwischenstationen über viele Jahre im Verein. Ich kenne sie schon aus ihrer Zeit in Gütersloh und weiß, welche Herausforderungen sie in ihrer Karriere bereits bewältigen musste. Deswegen freut es mich als Mensch, dass sie jetzt diesen Schritt nach Rom machen und sich damit einen Lebenstraum erfüllen kann.

Und was bedeutet der Wechsel für den Teamchef Robert Augustin und seinen Kader?

Es nützt ja nichts, Annalena hinterher zu trauern. Alle Parteien sind mit dem Wechsel sehr professionell umgegangen. Wir als Verein haben genügend Vorlauf gehabt und gute Gespräche geführt mit Annalena und mit Rom. Gleichzeitig haben wir uns natürlich auf die Suche gemacht nach einer passenden Mittelfeldspielerin und haben sie in Lüttich gefunden. Tatsächlich hatten wir Shari van Belle vorher schon gescoutet und in dem Moment hat es dann einfach super gepasst. Shari kann Annalenas Position 1:1 abdecken und tut das auch.

Auch in Ihrem Trainer*innenteam hat es überraschend einen Wechsel gegeben. Die im April verpflichtete Co-Trainerin Britta Hainke hat den Verein aus persönlichen Gründen auf eigenen Wunsch verlassen. Ihre Position hat vor Kurzem Jessica Wissmann übernommen. Was zeichnet sie aus?

Jessy deckt einen Teilbereich ab, den weder Thomas Gerstner, noch Jonas Kaltenmaier oder ich abdecken. Sie ist als Trainerin sehr emotional und hat im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Kaiserslautern viel Erfahrung gesammelt. Sie ist dort hoch angesehen. Die Lauterer haben sie auch nicht gerne gehen lassen, wollten ihr aber die Chance in der Frauenbundesliga zu arbeiten nicht verbauen. Daher an der Stelle auch nochmal ein Dankeschön nach Kaiserslautern. Jessy ist jetzt seit Ende des Trainingslagers bei uns und macht einen wirklich guten Job.

Blicken wir auf die Bundesliga. Was erwarten Sie von den Aufsteigern Union Berlin, Nürnberg und dem HSV?

Ich freue mich, dass drei ambitionierte Vereine hochkommen. Alle drei spielen in großen Stadien und haben eine große Fangemeinschaft. Das macht die Liga insgesamt attraktiver. Diese Vereine haben gerade in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet und sind verdient aufgestiegen. Ich hätte es aber zum Beispiel auch Meppen gegönnt, die lange oben dran waren, und auch ein Verein sind, der viel für den Frauenfußball tut. Ich glaube, dass die Liga gerade im Mittelfeld sehr spannend sein wird, weil schwer vorherzusagen ist, wer da wen schlägt. 

Glauben Sie, dass der Abstiegskampf dieses Mal wieder eine so klare Sache wird wie zuletzt mit Absteiger Turbine Potsdam?

Total schwer zu sagen. Im Sinne der Liga hoffe ich es nicht. Auch Potsdam hat ja viel versucht und natürlich wünscht man keiner Mannschaft sowas. Deswegen hoffe und glaube ich, dass die neue Bundesligasaison eine spannende wird – sowohl vorne als auch hinten.

Haben Sie Ihre Startaufstellung für das erste Spiel gegen Frankfurt schon im Kopf?

Nein. Wir haben gerade einen Konkurrenzkampf, der so groß ist wie noch nie seit ich hier in Essen bin. In den vergangenen zwei Jahren haben wir ganz oft mit derselben Startelf gespielt. Aber so wie es gerade läuft, haben wir die Auswahl zwischen vielen, vielen Spielerinnen, die alles investieren, um in die Startelf zu rücken. Von daher ist es tatsächlich noch zu früh, um zu sagen, wer beim Anpfiff gegen Frankfurt auf dem Rasen steht. 

Gilt das auch für die Position der Torhüterin?

Ja. Beide Torhüterinnen, also Kim Sindermann und Luisa Palmen, performen gut. Pia Lucassen kommt ja aus einer Verletzung, macht jetzt ihre Schritte nach vorn und ist auf einem sehr guten Weg. Emilia Navarro ist auch eine sehr gute Torhüterin. Sie muss aber noch Spielzeit in der zweiten Mannschaft sammeln. Daher wird es auf Kim oder Lui hinauslaufen. Wer letztlich spielt, wird sich kurzfristig entscheiden.

Was muss die SGS am Ende der Saison erreichen, damit Sie als Teamchef zufrieden sind?

Ein ganz großes Ziel ist es, mehr Zuschauer ins Stadion zu locken. Wir hatten letzte Saison einen hervorragenden Zuschauerschnitt von 2000 und den wollen wir weiter nach oben schrauben. Wir wollen als Offensivmannschaft auftreten und begeisternden Fußball spielen. Unser Spiel soll dem Publikum Spaß machen. Wenn wir am Ende der Saison dastehen und die nächsten Nationalspielerinnen hervorgebracht haben, dann haben wir alle Riesenarbeit geleistet. Der Standort Essen steht oft nicht so im Fokus und das wollen und müssen wir ändern. Wir werden dafür kämpfen, dass unsere Spielerinnen die gleiche Beachtung finden wie die in Frankfurt, bei Bayern oder in Wolfsburg.

Robert Augustin

Robert Augustin ist seit dieser Saison Teamchef der SGS Essen in der Frauen-Bundesliga. Zuvor war der 33-Jährige in Essen zwei Jahre lang Co-Trainer unter Markus Högner, der vor dieser Saison zum BVB wechselte. Zu Robert Augustins Trainerteam in Essen gehören unter anderem Thomas Gerstner als Trainer und Sportlicher Leiter, sowie Co-Trainerin Jessica Wissmann und Co-Trainer Jonas Kaltenmaier.

Titelfoto: SGS/Michael Gohl

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